Das Lenkrad vibriert heftig, es schüttelt mich. Immer bei Tempo 120 versucht die
Vorderachse scheinbar die Semislick-Räder abzuwerfen. Toll, dass es auf den Autobahnen
von München zum Nürburgring so viele Tempo 120-Zonen gibt. Anreise zum Porsche
Klassik Fahrertraining auf eigener Achse, den Motor einfahren.
Meine gulfblaue RS Replika hat einen 3,2 Liter Ami-Motor, bei dem ein Kolbenring
gebrochen war. Der Motor hatte 110.000 Meilen, also gleich mal komplett überholen. Und
siehe da, das ist gar kein 3,2er, sondern ein 3,4er. Drum zieht der also so gut und brummt
so laut in der Nacht. Also Ohrenstöpsel einsetzen und nicht über 4.000 Touren drehen.
Vollgas gibt´s erst morgen.
Am nächsten Morgen um 8:00: Briefing der Porsche-Instruktoren im Lindner Hotel am
Nürburgring. Das hat noch auf, dank Kurt Beck. Neben mir sitzt elferclassix Spezi Jörn,
der hört genau hin, als Stargast Striezl Stuck die Strecke erklärt. Für Jörn ist das
Training nur ein Vorspiel. Am Tag drauf hat er sich mit seinem blutorangenen 911 ST für
den Classic Marathon des OGP, des Oldtimer Grand Prix auf der Nordschleife
angemeldet. Und da geht es immerhin gegen Jochen Maas und Walter Röhrl, dazu später
mehr.
Ich bin das erste Mal auf der Nordschleife und hab mich gut vorbereitet. Etliche Runden
bei YouTube mitgefahren, die Streckenabschnitte studiert, vergeblich, es sind zu viele. 20
Kilometer ist eine Runde lang, die zahllosen Streckenabschnitte klingen bekannt:
Schwedenkreuz, Fuchsröhre, Kesselchen, Pflanzgarten, trotzdem bring ich sie ständig
durcheinander. Also gut aufpassen auf der Einführungsrunde.
Wir fahren den Porsche-Instruktoren hinterher, in 8er Grüppchen. Immerhin 10 solche
Gruppen haben sich zum Start auf der Döttinger Höhe aufgereiht. Porsche definiert den
klassischen Porsche bis Modell 993. Hinter mir drängelt schon ein 993 Cup, Rennwagen,
100 PS mehr als ich. Fair ist das nicht. Dann muss ich den eben durch fahrerische Klasse
auf Abstand halten - denke ich.
"Eine vogelwilde Linie fährst Du da." Der Instruktor, der am Ende unserer Gruppe fährt,
hält sich nicht mit diplomatischen Feinheiten auf. Ob ich denn zum ersten Mal hier sei. Ja,
bin ich. Und natürlich wird die Ideallinie vom vorausfahrenden Instruktor
gebetsmühlenartig wiederholt. Aber das bringt einem nichts, wenn man 8 Autos und 500
Meter hinter ihm fährt. Da passen die Ansagen nicht zu den Streckenpunkten. Wie, jetzt
stark bremsen und den zweiten Scheitelpunkt der Kurve ansteuern? Wie viele
Scheitelpunkte haben die Kurven denn hier? Wieder verbremst, vogelwild eben. Nach
jeder Runde rücken zwei Autos nach vorne. Schon macht das Gehörte mehr Sinn.
Und dann wird es langsam besser. Nach Runde 5 hab ich das Gefühl "hier war ich schon
mal". Jörn, der die Strecke besser kennt, lügt freundlich: "Das sieht schon ganz flüssig aus
bei Dir." Darauf grätscht der Instruktor dazwischen: "Unfug, in der Fuchsröhre wird nicht
gebremst, da fährt man Vollgas." Hab ich erwähnt, dass die Instruktoren mit aktuellen bzw.
997er GT3 RS und Turbos unterwegs sind? Ich bin in der Pause mal eine Runde mit dem
netten Instruktor mitgefahren und hab gedacht, wir wären vorher mit dem Tretroller
rumgekurvt. Die Jungs fahren hier 24-Stunden Rennen und kennen die Strecke
auswendig. Und die neuen Autos sind einfach unglaubliche Kurvenstars. Trotzdem lieb ich
meine gulfblaue Rappelkiste. Auch auf dem Nürburgring liegt Tempo 120 zwischen jeder
Kurve an und das Lenkrad schüttelt sich.
So langsam lässt die Anspannung nach und wir beginnen die Runden zu genießen. Die
Kurvenkombinationen klappen immer besser. An den einen oder anderen Bremspunkt
kann ich mich auch erinnern. Die Strecke ist ein großartiges Erlebnis. Auf und ab durch die
Eifel. Die grüne Hölle, die schönste Rennstrecke der Welt haben wir heute nur für uns.
Zwischendrin kommt Lob durchs Funkgerät, wir seien jetzt schon ziemlich flott unterwegs.
Aber dann "Bitte fahrt mal rechts und lasst den Walter durch." Der Kondensstreifen eines
gelben 991 zieht im Karussell vorbei, der Herr Röhrl eben.
Und dann staubt es leider auch mal vor uns. Einem der Kollegen ist die Straße
ausgegangen. Kaltverformung im Heck durch Leitplankenkontakt. Fahrer wohlauf, Auto
nicht, Training beendet. Da fällt einem wieder ein, was wir hier tun, die Haftgrenze
ausloten auf einer Rennstrecke. Rausfinden, wie das ist, wenn das Auto rutscht und mit
dem Heck wackelt. Und eben, wie lang das gut geht.
Nach 4 Stunden geführten Runden kommt das freie Fahren. Jeder für sich. Jörn fährt
voran, zu schnell für mich. Manchmal treffe ich die Ideallinie, manchmal fahr ich meine
eigene vogelwilde. Trotzdem macht es unglaublichen Spaß. Jetzt darf man sogar
überholen, hab den 993 Cup beim Verbremser geschnupft.
Um 16 Uhr Abschlussbesprechung. Urkunden gibt´s, dazu ein Video aus der Instruktor-
Kamera. Dabei hab ich doch mein eigenes per Onboard-Kamera gemacht: Eine Runde
versuchte Ideallinie hinter dem Profi -> siehe YouTube
Jetzt versteh ich, warum so viele Autos hier in der Eifel diese merkwürdige Form auf dem
Auto kleben haben, die Novizen für eine Nordsee-Insel halten würden. Wir Insider
erkennen den Nordschleifen-Aufkleber natürlich sofort und grüßen mit freundlicher
Lichthupe. Gerade überholt ein GT2 aus Norwegen. Dahinter ein Schweizer 964 RS. Nix
besonderes hier. Willkommen im Club der Nordschleifen-Infizierten.
Epilog 1:
Am nächsten Tag, Auftaktrennen zum OGP. Jörn im ST gegen die Creme de la Creme. Ich
als seine 1-Mann Boxencrew, immerhin mit Wagenheber und Ratschenkasten, zwischen
den Englischen Jaguar E-Type Profi Teams mit ihren Reifenstapeln. Jetzt naht
Verstärkung. Siggi und Roland aus dem elferclassix Team kommen. Sie haben
Klappstühle dabei... Zum geplanten Tankstopp erscheint Jörn nicht. "Ausfall auch vom
Auto mit der Nr. 62, Porsche 911 ST" kommt aus den Lautsprechern. Jörn hat das 10.000
Euro Geräusch gehört "als ob einer eine Dose Schrauben schüttelt", Motorschaden nach
der Hälfte des Rennens. Mit dem ebenfalls frisch aufgebauten Motor. Also auf den Hänger
geschoben an der Touristen-Einfahrt der Nordschleife. Jörns Laune erholt sich bis zum
Ende der Veranstaltung nicht mehr. Verständlich.
Epilog 2:
Am Samstag noch mal Nordschleife. Nebenan auf dem Grand Prix Kurs donnert die
historische Formel 1 über die Strecke. Während der Touristenfahrten kann jeder für 26
Euro in seinem Alltagsauto eine Runde drehen. Bei manchen ist das der neue Ferrari, vor
mir steht eine Frau im 1,8L Passat Kombi. Und davor Siggi und Roland im Audi RS4
Tatsächlich scheine ich beim Training was gelernt zu haben, ich überhole flüssig. Bis in der
letzten Kurve ein alter Scirocco vorbeizieht. Nach 500 Runden hast Du´s auch drauf, hatte
der Instruktor gesagt...
Epilog 3:
Heimweg. Das 120 km/h Gerüttel wird mir zu blöd. Auf einem Supermarktparkplatz
schraub ich die Vorderräder runter und wieder drauf. Der Wagen läuft plötzlich
butterweich, wie auf Schienen. Warum, erklärt mir Herwig dann erst in der Woche drauf.
Vogelwilde Grüße von,
Markus